Interview mit Hermann Josef Hack „Klimaschutzwesten – das letzte Mittel?“

Armin Holewa interviewt Hermann Josef Hack

 

Klimaschutzwesten – das letzte Mittel?

 

 Armin Holewa (AH): Hermann Josef Hack, Sie haben gerade eine Reihe von neuen Arbeiten gestartet, die Sie Klimaschutzwesten, Climate Life Vests, nennen. Wie kam es dazu?

 

Hermann Josef Hack (HJH): Ich erinnere mich noch, wie uns in den 1970er Jahren zu Zeiten des kalten Krieges eingeredet wurde, bei einem Atomschlag solle man sich unter den Tisch legen und am besten mit einer Aktentasche oder Zeitung zudecken, das sei das wirksamste Mittel gegen die Strahlung. Wenn das die Leute beruhigt hat, dann hat das ja gut funktioniert. Und wenn ich heute sehe, dass wir uns sehenden Auges in eine unumkehrbare und mindestens so vernichtende Klimakatastrophe stürzen, dann braucht es entsprechend ein ebenso beruhigendes Mittel: die Klimaschutzweste, die uns vor der Klimakatastrophe schützt.

 

AH: Und wie funktioniert die?

 

HJH: Einfach über den Kopf ziehen wie eine Schwimmweste und schon ist man sicher.

 

AH: Wovor genau?

 

HJH: Vor allem. Allein die Verbotsaufschriften „Klimawandel unerwünscht“ oder die Schutzbehauptung „Ich war’s nicht“ dürften den Klimawandel dauerhaft abwehren.

 

AH: Nun mal im Ernst – was hat Sie bewogen, solch eine Serie aufzulegen?

 

HJH: Wenn man wie ich schon seit einem Vierteljahrhundert versucht, durch die Kunst Menschen für eine Bewusstseinserweiterung und zum entsprechenden Handeln zu gewinnen, damit die seit langem bekannten Prognosen der Klimaforscher nicht eintreffen müssen, und dann sehen muss, wie wenig sich in dieser Zeit bewegt hat, kann man das nur noch mit Humor ertragen. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich Menschen erreichen lassen, indem sie erkennen, wie naiv und lächerlich wir uns verhalten, wenn wir weiterhin der tatsächlichen Bedrohung ausweichen und die Fakten verdrängen.

 

AH: Es ist also noch nicht zu spät?

 

HJH: Es besteht immer noch eine Chance, das Schlimmste zu verhindern, sie schrumpft aber von Tag zu Tag. Wenn ich die Hoffnung nicht hätte, dass gerade die jungen Menschen, welche die Auswirkungen unseres Verhaltens ausbaden müssen, eine neue Form finden, unser Leben umzukrempeln und konsequent an einer Transformation arbeiten, würde ich vielleicht wie viele andere nur Kunst um ihrer selbst willen produzieren. Das kann aber nicht Sinn der verändernden Kraft von Kunst sein.

 

AH: Sondern?

 

HJH: Das Spiel mit Möglichkeiten, das Erfinden von Utopien, eine Ermutigung, gemeinsam Dinge anzupacken, die man sich allein nicht traut, neue Lebensformen auszuprobieren und Dinge über Bord zu werfen, die uns in das heutige Dilemma geführt haben.

 

AH: Noch eine Frage zum Material, die Ihnen sicher schon oft gestellt wurde: Zelt- bzw. Lkw-Plane benutzen Sie ja nicht nur für diese Westen, sondern auch als Bildträger Ihrer großformatigen Gemälde. Warum gerade dieses ungewöhnliche Material?

 

HJH: Einmal aus praktischen Gründen. Es ist wetterfest und strapazierfähig, also gut geeignet für die Straße. Dieses Material kennen auch Diejenigen, die nicht ins Museum gehen aus ihrem Alltag. Flüchtlingen und den Ärmsten in prekären Situationen dient es als Behausung, weltweit. Insofern ist bereits das Material eine Botschaft: Hier steht jemand, dem eure Anliegen nicht gleichgültig sind, der euch dort abholen will, wo ihr euch befindet, sei es im Flüchtlingscamp oder auf der Straße. Es ist ferner ein ökologisches Signal, denn ich verarbeite nur Reste bzw. gebrauchtes Material, das ansonsten verbrannt und vernichtet würde.

 

AH: Sie bieten diese bemalten Klimaschutzwesten als Unikate zu einem im Vergleich mit den Kunstmarkt sehr niedrigen Preis an.

 

HJH: Richtig, für diesen Preis bekommen Sie keine Papierarbeit von einem gleichwertigen Künstler angeboten. Mir geht es ja darum, mit meiner Arbeit möglichst viele Menschen zu erreichen, nicht nur die Millionäre. Deshalb biete ich meine Arbeiten so günstig an und freue mich, wenn sie auch bei jungen Menschen, die sich noch keine teuren Arbeiten leisten können, Interesse finden.

 

AH: Der Zeitpunkt für die Präsentation Ihrer Klimaschutzwesten ist nicht ganz zufällig gewählt…

 

HJH: Richtig. In wenigen Wochen findet in Bonn die 23. UN-Klimakonferenz statt, die offiziell von den Fidschi-Inseln veranstaltet wird.

 

AH: Aus Ihrer Biografie geht hervor, dass Sie schon diverse Klimakonferenzen mit Ihren Aktionen begleitet haben, nie im offiziellen Programm, sondern immer auf eigene Faust und im Alleingang, aber stets unter Beteiligung der breiten Öffentlichkeit…

 

HJH: Ja, das stimmt. Seit den 1990er Jahren nehme ich die Weltklimakonferenz zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass ohne Kunst und Kultur keine gesellschaftliche Gestaltung möglich ist. Vielmehr ist der Klimawandel eine kulturelle Herausforderung. Die Forscher und Wissenschaftler mögen uns aufzeigen, wohin sich die Lebensumstände entwickeln. Sie sind aber völlig überfordert, Visionen für ein Zusammenleben unter den veränderten Bedingungen zu entwerfen. Das ist in erster Linie eine kulturelle Frage. Nur leider hat die Kultur- und Kunstszene sich in ihren Elfenbeintürmen, dem White Cube, dem Museum, verschanzt und sich einen Dreck um die Klimaveränderung gekümmert, weil sie – genau wie die Meisten – gedacht hat, dies sei allein Sache der Wissenschaft, die gefälligst eine Lösung finden soll.

 

AH: Was kann die Kunst, was Forschung und Wissenschaft nicht leisten?

 

HJH: Schauen Sie, die letzten Jahrzehnte sind vergangen, ohne dass die Prognosen der führenden Klimaexperten irgendeine ernst zu nehmende Wirkung gezeigt hätten. Was alle jetzt fordern, eine Transformation, scheitert bis heute an der mangelnden Kommunikation der wissenschaftlichen Sparten untereinander, geschweige mit der breiten Öffentlichkeit. Sie mögen sagen, es ist doch schon einiges passiert, wir fahren die ersten Elektroautos und gewinnen Windenergie, aber im Verhältnis zum Ernst der Lage haben wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht. Setzen, sechs.

 

AH: Und hier kommt die Kunst ins Spiel?

 

HJH: Wir haben es noch nicht versucht, die Menschen im Kern, d. h. im Innern, im Herzen, zu erreichen. Es nützt nichts, wenn mir mein Kopf sagt, das ist nicht gut, solange meine Triebe, meine Gelüste, Gefühle, also der unterbewusste Teil meiner Persönlichkeit, das nicht Gute wollen und genießen. Das, was wie eine flache Bauernweisheit klingt, ist aber der Schlüssel dafür, ob wir die notwendige Mehrheit der Gesellschaft zum Umdenken und vor allem zum Handeln bewegen können.

 

AH: Das klingt nicht nach positiven Erfahrungen.

 

HJH: Meine persönlichen Erfahrungen bis zum heutigen Tag gehen dahin, dass in allen Bereichen, auch bei den Ökos und NGOs alte Klischees vorherrschen. Jeder glaubt fest daran, dass nur er alleine die richtigen Motive hat und alle anderen den Schuss noch nicht gehört haben. Was wir brauchen, ist das Überwinden der Grenzen in den Köpfen. Auch eine neue Kunst. Dabei brauchen wir gar nicht von Null anfangen. Mein Lehrer Joseph Beuys hat bereits in den 1960er Jahren dafür geworben, die Grenzen zu überwinden und ein Ende der Kunst eingeleitet, damit eine neue Kunst ohne Altlasten unser Bewusstsein erweitert.

 

AH: Auch Sie haben bereits 1991 das GLOBAL BRAINSTORMING PROJECT gegründet. Ist das noch immer aktuell?

 

HJH: Mehr denn je. Da (ich zitiere wieder Beuys) das Denken bereits Plastik ist, kommt es vor allem darauf an, sich von alten Strukturen, die uns in die Misere geführt haben, zu lösen und Neues zu denken. Beim Brainstorming ist jede noch so abwegige Idee erlaubt, das gemeinsame Fantasieren ergibt immer neue Anregungen, die selbstverständlich auf ihre Brauchbarkeit überprüft werden müssen…

 

AH: …um dann in die Tat umgesetzt zu werden.

 

HJH: Ja, das ist die Nagelprobe. Hier muss sich die Kunst in der Realität beweisen, Ob sie Kommunikation herstellt. Ob sie Leute für etwas begeistern kann. Ob sie vom Denken, Träumen zum Handeln bewegen kann. Oder ob sie weiterhin sagt, lass uns mal in unserem sicheren Reservat bleiben, wo uns keiner mit der Realität stört, um es provokativ zu sagen.

 

AH: Aber Sie glauben an die verändernde Kraft der Kunst.

 

HJH: Wenn man sie lässt und aus der Sklaverei befreit, nur noch für die reichen Geldgeber, die es sich leisten können, zu deren Imagesteigerung zu arbeiten, ja, dann wird sie ungeahnte Kräfte frei setzen.

 

AH: Nochmal zurück zur Weltklimakonferenz; was müsste passieren, damit sich etwas verändert?

 

HJH: Punkt eins: Natürlich müssen ab sofort Künstler/innen am Verhandlungstisch sitzen. Gemeint sind hier nicht die Siegerkünstler, die den Reichen ihre Villen dekorieren. Sie überzeugen als Teil des Problems nicht so sehr wie Diejenigen, die mit ihrer Kunst kommunizieren und Partizipation herstellen können. Punkt zwei: Es muss bei diesen Verhandlungen eine direkte Demokratie eingeführt werden, so dass nicht die Lobbyisten der einflussreichen Profiteure des bisherigen Wirtschaftens die Oberhand behalten, sondern vor allem Diejenigen, die bisher nicht ihr Recht auf Bewahrung ihrer Lebenswelt wahrnehmen konnten. Der alte Glaube an die Kraft des Wirtschaftskapitals als Allheilmittel ist überholt, wir müssen endlich den Ärmsten und Entrechteten eine Stimme geben. Übrigens: die schleichende Klimaveränderung kostet uns schon hier im sicheren Deutschland zig Millionen Euro, wie man aktuell am Sturmtief Xavier sehen kann. Schon die relativ harmlosen Stürme legen die halbe Infrastruktur lahm. Die Deutsche Bahn fährt vorsichtshalber gar nicht, der ÖPNV bricht zusammen, lange Staus und Wartezeiten, Ausfälle sind die Folge und das kostet Zeit und Geld.

 

AH: Wären Sie bereit, am Verhandlungstisch Platz zu nehmen?

 

HJH: Sofort, auch wenn das eine sehr strapaziöse Arbeit sein würde. Aber man muss bereit sein, Opfer zu bringen.

 

AH: Dann könnten Sie allen eine Schutzweste aushändigen.

 

HJH: Als ständige Erinnerung an die Aufgabe, die vor uns liegt, ja.

 

 

 

 

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